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Die Opulenz des Malerischen


Von Peter Lodermeyer,  Kunsthistoriker 2007


     Die Künstlerin Ahn Hyun-Ju, 1969 in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul geboren, lebt seit 15 Jahren in Deutschland. Womöglich hängt es mit ihrer Biografie zusammen, mit dem Wechsel zwischen zwei sehr unterschiedlichen Kulturen, Sprachen und Denkweisen, dass sie in ihrer Malerei so selbstverständlich mit formalen Gegensätzen umzugehen weiß. Immer wieder inszeniert Ahn in ihren Arbeiten Gegensatzpaare: Material und Farbe, Glanz und Mattigkeit, Fläche und Raum, Monochromie und Gestus, Ornament und Konzept, Minimalismus und Überschwang. Teilweise bringt sie die Gegensätze in harmonischen Einklang, teilweise lässt sie sie in scharfem Kontrast nebeneinander bestehen. Bereits auf der fundamentalen Ebene ihrer Materialwahl zeigt sich Ahns Interesse an spannungsvollen Kombinationen: Seit 2001 benutzt sie fast ausschließlich Aluminiumplatten als Bildträger. Die Materialität des Aluminiums, sein stumpfer Glanz und seine das Spiegelbild optisch zerfasernden Reflexionseigenschaften sind wesentlich für das Erscheinungsbild ihrer Arbeiten. Der Kühle und materiellen Härte des Metalls stehen die Wandlungsfähigkeit, die Sinnlichkeit und Starkfarbigkeit ihrer Malerei gegenüber. Ahn bevorzugt kräftige, vitale Farben, immer wieder sattes Blau, verschiedene Gelbtöne, ins Orange spielendes Rot, gedecktes Grün. Die Farben (meist Acryl-, manchmal auch Ölfarben, Lacke usw.) nehmen auf dem Metall einen völlig anderen Ausdruck an als etwa auf Leinwand, die entweder unter der Farbe unsichtbar wird oder aber das Farbmaterial saugend in sich aufnimmt. Farbe und Aluminium jedoch gehen keine Verbindung miteinander ein und bleiben als zwei widerstreitende Materialien erkennbar. In seiner abweisenden Glätte ist das Aluminium selbst unter vielschichtigen Farbaufträgen visuell präsent. Daher öffnet die Farbe in Ahns Malerei keine illusionistischen Tiefenräume, sondern gibt sich, vom Metallglanz des Aluminiums hinterfangen, unmissverständlich als aufgetragene Farbsubstanz, d.h. als Material zu erkennen. 

     Ahns stets ungerahmte Arbeiten auf Aluminium sind keine Gemälde im üblichen Sinn, sondern betonen ihren dreidimensionalen Charakter. Sie sind eher als Bildobjekte zu bezeichnen und sind materielle Zeugnisse von zum Teil langwierigen Arbeitsprozessen. Dem Objektcharakter ihrer Arbeiten entsprechend, fertigt die Künstlerin, die sich auch lange mit Videokunst und Rauminstallationen beschäftigt hat, immer wieder raumbezogene Arbeiten. So entstanden z.B. zweiteilige Werke, die derart übereck platziert werden, dass sich, je nach Blickwinkel, ein Bildobjekt im anderen spiegeln kann. Dies bewirkt, dass der üblicherweise „tote“ Leeraum zwischen zwei Bildern für den Betrachter aktiviert wird, da er seinen Standort bewusst einnehmen bzw. verändern muss, um der Komplexität der Arbeiten gerecht zu werden. Die Vorliebe Ahns für Spannungsmomente zeigt sich auch in der Art ihres Farbauftrags. Auf manchen ihrer bis zu drei Meter langen Breitformate schießen schmale Farbstreifen wie Laserstrahlen horizontal über die Bildoberfläche. Daneben stehen monochrome, unmodulierte Farbfelder, in denen sich das Kolorit „langsamer“, breiter entfalten kann. Ganz oder teilweise unbemalte Segmente, in denen das Aluminium mit seinen Materialeigenschaften zur Geltung kommt, spiegeln die Betrachter sowie den Ausstellungsraum und beziehen sie in das Bild mit ein. Die Spiegelbilder sind, da das Metall gebürstet und nicht hochglanzpoliert ist, in schemenhafte Unschärfe versetzt und damit optisch in die Fläche gedrückt. In Kontrast zu den glatten Metall- bzw. Farbfeldern stehen kräftige Pinselschwünge oder auf den Träger gespachtelte Farbbahnen, in denen die Farbe in unterschiedlicher Dichte und Helligkeit verteilt ist. In eleganten Schwüngen wird die Farbsubstanz als lebendig bewegte Form, als „Welle“ inszeniert, die sich in Stauchungen sammeln oder in sanftem Verlauf verströmen kann.

     Weniger dynamisch, dafür vielteiliger und komplexer präsentieren sich die meist quadratischen Klein- und Mittelformate. Obwohl das Quadrat per se eine überaus fordernde, objektbetonte Form ist, gelingt es Ahn Hyun-Ju selbst in ihren nur 30 mal 30 Zentimeter messenden Arbeiten, ihm eine dicht gefügte, spannungsvolle Malerei aufzusetzen. Durch den lasierenden Auftrag kommt es zu eigenwilligen Mustern und Farbmischungen. Rigide geometrische Raster konkurrieren mit freien, spontan wirkenden Pinselschwüngen und flüssigem, teilweise auch zu Gerinnseln verdichtetem Farbeinsatz. Auf ein und demselben Bild wird der Pinselschwung wechselweise souverän über das geometrische Liniennetz hinweggeführt und an anderer Stelle jäh an den Grenzlinien gestoppt und ins Ordnungssystem gezwungen. Aus diesem Spiel von Freiheit und Ordnung entsteht ein komplizierter Rhythmus, der das Auge des Betrachters in Bewegung hält und ihm die übereinandergelegten Farbschichten als zeitliche Abfolge zu lesen gibt. Noch komplexer wird das Geflecht der Farben, Flächen und Linien in einigen mittelformatigen Arbeiten (100 x 100 cm), aus denen die Künstlerin einen inneren quadratischen Teil nach dem Bemalen herausgetrennt und um 180 Grad gedreht wieder ins Bildgefüge eingesetzt hat. Diese Intervention wird vom Betrachter eher unbewusst registriert als in aller Klarheit erkannt. Doch aus diesem formalen Konzept ergeben sich spannungsvolle, das gesamte Bildfeld rhythmisierende farbliche und formale Entsprechungen. Diese 2006 entstandenen Arbeiten wirken wie ein Gruß an die neo-minimalistischen Bilder Peter Halleys, die Ahn Hyun-Ju ebenso bewundert wie die Streifenbilder von Bridget Riley und die zwischen Simplizität und barocker Üppigkeit changierende Malerei David Reeds. Was diese sehr unterschiedlichen Vorbilder eint und was man in Ahns Malerei wiederfindet, ist der produktive Gegensatz zwischen strenger Form und überbordender Intensität der Farbe. Ahn Hyun-Ju geht es darum, das Gegen- und Miteinander von Form und Farbe – als Kolorit wie als Material verstanden – in einen zwingenden Rhythmus zu bringen. Wo dies gelingt, entfaltet sich, was die Künstlerin selbst „die Opulenz des Malerischen“ nennt. 

     Rhythmus ist überhaupt ein wichtiges Stichwort für die Annäherung an die Kunst von Ahn Hyun-Ju. Ihre Arbeiten sind nicht über benennbare Inhalte zu erfassen. Es geht der Künstlerin nicht um das Vermitteln von Ideen, denn ihre Malerei basiert nicht auf ästhetischen Theorien oder philosophischen Fragestellungen. Für sie funktioniert die Malerei vielmehr als „ein gefiltertes Spiegelbild des Lebens“. Das bedeutet, dass sie für die verschiedensten Vorstellungen, Erinnerungen und Erfahrungen gewisse Formalisierungen zu finden sucht, die sie dann so weit wie möglich vereinfacht. Ahn gelingt es, ihre Vorstellungen „auszufiltern“, wie sie selbst sagt, sie in formale Einheiten zu zerlegen und diese dann so zu kombinieren, dass sich daraus ein stimmiger visueller Rhythmus ergibt. Nicht zuletzt über diesen Rhythmus werden die ihrer Malerei zugrunde liegenden Erfahrungen emotional vermittelt. Ein gutes Beispiel für diese Arbeitsweise bieten Ahns Aufenthalt im Norden Israels im Oktober 2005 und die daraus resultierenden Veränderungen in ihrer Malerei. Ahn Hyun-Ju erzählt, dass sie überwältigt war von der Lebendigkeit der Menschen, von dem Licht und den Farben der Landschaft. Sie erlebte die „bunten Blüten wie ein Feuerwerk vor einem kobaltblauen Himmel“. In den nach ihrer Rückkehr nach Deutschland gemalten Bildern findet sich dieses Erlebnis in Form frei gemalter Farbknäuel in Rot, Blau und Grün wieder. Ahn Hyun-Ju malte nicht die Blüten, sie brachte ihre Malerei zum Blühen. 

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